Laura und ich unterhalten uns über ein narratives Interview (FR449), indem Lea* ihre Transition vom Jungen zur Frau beschreibt. Wir gehen auf die Theorie von Judith Butler ein und besprechen dann die zentralen Aspekte der anthropologischen Bildungsforschung von Transformatorischer Bildung, der Trias von Emotion, Praxis und Theorie, den anthropologischen Kategorien Körper, Subjekt, Raum, Zeit, Kultur, Subjekt und Grenzen und der Performativität.
Zusammenfassung des Podcast-Gesprächs mit Laura zur Interviewanalyse FR449 (GPT)
In dieser Folge des Podcasts Transformatorische Bildung sprechen Tim und Laura über das narrative Interview FR449, in dem die junge Frau Lea* ihre Transition vom als Junge geborenen Kind zur Frau reflektiert. Das Gespräch entfaltet sich entlang zentraler theoretischer Linien – insbesondere Judith Butlers Theorie der Performativität und Anrufung sowie der anthropologischen Bildungsforschung, die auf Konzepte transformatorischer Bildung, rhetorische Figuren, die Trias Emotion–Praxis–Theorie und anthropologische Kategorien zurückgreift.
Einführung in das Interview und thematische Rahmung
Laura berichtet, wie ihre Gruppe sich für das Interview mit Lea* entschied – einer jungen Frau, die sich im Alter von etwa 19 Jahren als trans erkannt und geoutet hat. Die Wahl fiel auf diese biografische Erzählung, da sie einerseits eine starke Transformationsgeschichte darstellt und andererseits gesellschaftlich hochrelevant ist. Im Zentrum steht Leas Selbsterkenntnis, dass ihr bei der Geburt zugewiesenes männliches Geschlecht nicht mit ihrem erlebten Selbst übereinstimmt. Im Interview schildert Lea* ihre Kindheit, erste Irritationen während der Pubertät, das Aufkommen einer tiefen Verstimmung in der Corona-Zeit und schließlich das konversionsartige Moment während eines Urlaubs in Italien, in dem ihr klar wird, dass sie trans ist.
Theoretischer Fokus: Judith Butler
Laura betont zwei zentrale Begriffe bei Judith Butler: Anrufung (interpellation) und Performativität. Die Anrufung durch soziale Instanzen – ob negativ durch Fremde oder positiv durch Freunde und Familie – formt die Identität der interviewten Person maßgeblich. Die Theorie der Performativität zeigt sich etwa in Leas frühzeitiger, aktive Festlegung auf Pronomen („she/her“) und in ihrem Verhalten (Kleidung, Körpersprache), das ihre Geschlechtsidentität performativ herstellt.
Tim ergänzt diese Aspekte durch eine prägnante Darstellung der Sprechakttheorie (Austin) und erläutert, wie Butler diese erweitert, indem sie zeigt, dass Geschlecht durch performative Akte – wie die Geburtsausrufung „Es ist ein Mädchen!“ – diskursiv erzeugt wird. Eine kritische Diskussion entsteht über Butlers Infragestellung des biologischen Geschlechts (Sex). Während Laura hier gewisse Verständnisschwierigkeiten äußert, wird im Gespräch deutlich, dass Butler die Kategorie „Sex“ nicht leugnet, sondern deren kulturelle Konstruktion betont.
Transformatorische Bildung
Im weiteren Verlauf erläutert Laura, wie sich die Transition von Lea* im Sinne der transformatorischen Bildung (Koller/Kokemohr) verstehen lässt. Leas Krise während der Pandemie – die depressive Verstimmung und Identitätsverunsicherung – wird als Bruch im bisherigen Welt- und Selbstverhältnis interpretiert. Die metaphorische Wendung „wie ein Phönix aus der Asche“ beschreibt den Übergang in ein neues Verhältnis zu sich selbst. Diese bildhafte Sprache ist Ausdruck einer gelungenen biografischen Transformation.
Trias: Emotion – Praxis – Theorie
Die Trias aus Emotion, Praxis und Theorie, wie sie in der anthropologischen Bildungsforschung entwickelt wurde, strukturiert die Analyse des Interviews:
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Emotion: Leas frühes Unwohlsein, depressive Symptome, Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit.
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Praxis: Die Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes, das Coming-out, die Inanspruchnahme von Hormontherapie.
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Theorie: Die bewusste Einordnung des Erlebten unter der Kategorie Transidentität.
Diese Dreigliederung erlaubt eine dichte Beschreibung des Bildungsprozesses auf verschiedenen Ebenen.
Anthropologische Kategorien
Laura benennt die sieben Kategorien nach Wulf/Zirfas (2014) „Handbuch der pädagogischen Anthropologie“: Körper, Subjekt, Raum, Zeit, Kultur, Soziales und Grenzen. Sie zeigt auf, wie Leas Erzählung durch diese Dimensionen strukturiert ist:
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Körper: Der zentrale Ort der Entfremdung und später der Angleichung.
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Raum: Öffentliche Orte wie Toiletten oder Züge, in denen sie Diskriminierung erlebt.
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Zeit: Die Corona-Pandemie als transformatorischer Möglichkeitsraum.
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Subjekt: Die Selbstbeschreibung und performative Festlegung als Frau.
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Soziales: Die stark unterstützende Rolle von Familie, Freund:innen und Universität.
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Kultur: Die gesellschaftliche Reaktion auf Transidentität und deren Wandel.
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Grenzen: Die administrativen Hürden bei der Änderung von Ausweisdokumenten sowie symbolische Grenzüberschreitungen in Geschlechterfragen.
Schlussbetrachtung
Am Ende betont Laura nochmals den Appell von Lea* an die Gesellschaft: mehr Akzeptanz, niedrigere institutionelle Hürden und ein inklusiverer Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt. Das Interview wird als Beispiel eines gelungenen Bildungsprozesses gelesen, in dem eine Person über Sprache, soziale Anerkennung und individuelle Praxis ein neues Welt- und Selbstverhältnis formt. Die performative Kraft der Erzählung selbst wird als Teil dieses Prozesses verstanden.