Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte ein paar einleitende Worte zum französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan sagen, der allgemein als das Enfant terrible der Psychoanalytikerszene in Frankreich gilt. Lacan ist einer der Theoretiker, auf den sich die Transformationstheorien sowohl bei Koller als auch Kokemohr immer wieder beziehen. Dabei ist es eine Herausforderung, dass die Art und Weise, wie er schreibt, sehr extravagant ist. Lacan hat eine Zeit lang im Kreis der Surrealisten gehaust und hat sich in der Art und Weise, wie er formuliert, daran orientiert, in literarischen Formen zu schreiben. Außerdem sind viele seiner Überlegungen nur in den Seminaren veröffentlicht worden, die durch die Mündlichkeit geprägt sind. Sich Lacan anzueignen ist eine größere Herausforderung aber gleichzeitig eine der spannendsten. Ich werde hier nicht versuchen, die Theorie von Lacan in großem Umfang darzustellen, sondern werde eher ein paar allgemeine Hinweise geben. Ich habe mich in meine Doktorarbeit sehr ausführlich mit Lacan beschäftigt und dort können Sie meine Überlegungen nachlesen. Ich werde die entsprechenden Links posten und auch etwas zur Sekundärliteratur sagen.
Lacan ist im Jahr 1901 geboren und gehört somit zur gleichen Generation wie Jean-Paul Sartre. Die zeitliche Abfolge kann man zur Orientierung in Lacans Werk nutzen. Es gibt drei Phasen, die sich unterscheiden lassen. Zunächst sind es das Imaginäre und das Spiegelstadium, mit denen er sich in den 1930er und 1940er Jahren beschäftigt. Das Imaginäre sind Vorstellungen, Bilder oder Träume, die unbewusst sind. Der bekannteste Text von Lacan zum Spiegelstadium thematisiert vor allem die Entstehung des Subjekts durch die Identifikation. Dieser Text ist ein Dokument des Übergangs. Daher empfehle ich allen Lesern von Lacan, sich zunächst mit dem Fall der Schwester Papin zu beschäftigen, weil dieser einfacher zu verstehen ist und sich auf einen konkreten Fall bezieht. Ab den 1950er Jahren sind für Lacan vor allem die Sprachtheorie von Ferdinand de Saussure und der aufkommende Strukturalismus relevant. Hier werden das Symbolische und die Sprache betont, die in der Psychoanalyse das entscheidende Medium ist. Die Psychoanalyse als Talking Cure hat ja nichts anderes als die Kraft der Sprache. Das Symbolische wird zu dieser Zeit zum zentralen Aspekt seiner Theorie. Als Drittes und Letztes muss man das Reale betonen. Es ist das, was sich dem Sprechen entzieht und im Imaginären nicht erscheinen kann.
An einem Beispiel könnte man sich überlegen, was diese drei Dimensionen oder Register sind. Zum Beispiel kann man sich den Tod angucken. Diesen gibt es in allen drei Registern. Das Imaginäre wären in diesem Fall die Vorstellungen und Bilder, die wir uns über den Tod machen. Man kann sagen, dass die Religionen die Funktion haben, imaginäre Konstruktionen über den Tod anzubieten.
Das Symbolische wären dann die Texte, die uns sprachliche Formulierungen, Geschichten und kulturelle Rituale über den Tod anbieten. Das Reale ist dasjenige, was sich diesen beiden Bereichen erzielt, was man – in Anführungsstrichen, bitte nur so verstehen – als der Tod “an sich” bezeichnen könnte. Wichtig ist zu beachten, dass alle drei Dimensionen immer zeitgleich auftauchen und nur analytisch zu unterscheiden sind.
Wenn man anfängt sich mit Lacan beschäftigen, gibt es einige klassische Texte mit denen man starten kann. Die beste Einführung im deutschsprachigen Bereich ist wahrscheinlich „Subversion des Begehrens“ von Peter Widmer. Es gibt von Ulrike Kadi die Arbeit „Bilderwahn“. Dieses Buch ist sehr spannend zu lesen, weil sie mit Bezug auf die bildende Kunst eine bildliche Form zu schreiben entwickelt hat. Bei Lacan ist nicht nur wichtig sich anschauen, was er schreibt, sondern auch, wie er schreibt.
Die Überlegungen von Lacan sind sehr schwierig nachzuvollziehen, wenn man sie lediglich aus sich selbst heraus verstehen möchte. Deswegen empfehle ich, sich ein Material zu suchen, das einem Bilder, Szenen und Imaginationen bereitstellt, die man beim Lesen auf die Texte beziehen kann. So gibt es die berühmte Szene aus „Taxi Driver“, in der es diese Spiegelszene gibt. Wenn man eine solche Vorstellung im Kopf hat, ist es sehr viel einfacher, die anspruchsvollen Texte nachzuvollziehen.
Ein zweiter Tipp wäre, sich frühzeitig die Texte von Sigmund Freud anzuschauen. Für die Psychoanalyse gibt es das Wörterbuch der Psychoanalyse von Laplanche und Pontalis. Es hilft, wenn man sich in den Werken von Freud ein wenig auskennt. Die Sprache von Freud ist angenehmer, weil viele Formulierungen bei Lacan bewusst kryptisch gehalten sind.
Ich empfehle zudem, mit den Seminaren von Lacan und nicht mit den Schriften zu starten. In den Seminaren hat er viel mehr Zeit und Raum, seine Ideen zu entwickeln.
Die Beschäftigung mit Lacan ist eine sehr interessante und gewinnbringende Tätigkeit, die man gerade auch auf pädagogische Situation sehr gut anwenden kann. In pädagogischen Situationen, insbesondere Prüfungssituationen sind Projektionen – was glaube ich eigentlich, was der andere gerade über mich denkt – von besonderer Bedeutung.
Ich hoffe, ich konnte ihr Interesse für Lacan wecken.