Im Gespräch mit Annika unterhalten wir uns über das Interview mit Elias* (FR450). Zentral ist eine Makroglossie, eine Vergrößerung seiner Zunge, die zu verschiedenen Erfahrungen mit Ausgrenzung führt.
Zunächst besprechen wir die vier Bausteine der anthropologischen Bildungsforschung.
- Transformatorische Bildung nach Kokemohr und Koller.
- Trias von Emotion, Praxis und Theorie nach Zirfas.
- Die sieben anthropologischen Kategorien (Körper, Soziales, Raum, Zeit, Kultur, Subjekt und Grenzen).
- Die Frage nach Performativität und Normativität.
Der Bezugstheorie ist das Modell der Anrufung und Resignifizierung nach Butler.
Zusammenfassung GPT.
00:00–00:03: Vorstellung und thematische Einleitung
In dieser Folge des Podcasts „Transformatorische Bildung“ spricht Tim mit der Studentin Annika über ein Interview mit Elias*, einem jungen Mann mit Makroglossie. Die Episode beginnt mit einem kurzen persönlichen Einstieg, in dem Annika von ihrem Studium berichtet – sie studiert Grundschullehramt in Köln, hat aber zuvor bereits ein geisteswissenschaftliches Studium abgeschlossen. Die Gesprächspartner*innen leiten dann über zur zentralen Fragestellung der Folge: Wie kann die biografische Erzählung von Elias, der mit einer stark vergrößerten Zunge lebt, im Rahmen der anthropologischen Bildungsforschung interpretiert werden?
00:03–00:09: Die vier Bausteine der anthropologischen Bildungsforschung
Tim führt in die vier konzeptionellen Bausteine der Analyse ein: (1) die Theorie der transformatorischen Bildung nach Kokemohr und Koller, (2) die Trias von Emotion, Praxis und Theorie nach Zirfas, (3) die sieben anthropologischen Kategorien (Körper, Soziales, Raum, Zeit, Kultur, Subjekt und Grenzen), sowie (4) die Frage nach der Performativität und Normativität der Erzählung. Diese Struktur bildet das methodologische Rückgrat der Interviewanalyse.
00:09–00:13: Transformatorische Bildung und rhetorische Figuren
Annika erläutert, wie sie den Begriff der Bildung im transformatorischen Sinne verstanden hat: als tiefgreifende Veränderung grundlegender Welt- und Selbstverhältnisse, erkennbar in sprachlich-rhetorischen Figuren wie Metaphern, Vergleichen und wiederkehrenden Motiven. Diese Figuren erlauben eine Analyse der symbolischen Selbstverortung im Weltbezug. Das Interview mit Elias wird dabei als Zeugnis eines solchen Bildungsprozesses verstanden.
00:13–00:18: Trias von Emotion, Praxis und Theorie
Anschließend wird die Trias (Emotion, Praxis, Theorie) als Strukturierungshilfe erläutert. Annika hebt hervor, dass Elias’ Erzählung nicht in einer linearen Logik dieser drei Phasen verläuft, sondern dass Emotion und Praxis eng verwoben sind. Seine Theorie, also die Bedeutung, die er seinem Lebensweg retrospektiv zuschreibt, lässt sich dennoch rekonstruieren: ein affirmativer Umgang mit erlittenem Schmerz, Krankheit und sozialer Ausgrenzung.
00:18–00:25: Anthropologische Kategorien und ihre heuristische Funktion
Die sieben anthropologischen Kategorien geben laut Annika Orientierung, um das Interview auf wiederkehrende Dimensionen menschlicher Existenz hin zu analysieren. Besonders die Kategorien „Körper“ und „Grenzen“ sind in Elias’ Fall zentral: Sein Körper wird permanent markiert, bewertet und als „abweichend“ klassifiziert. Auch kulturelle und soziale Kontexte werden sichtbar – etwa die schulische Institution als Raum normativer Ordnung.
00:25–00:34: Biografische Kernerinnerung als Szene der Anrufung
Ein zentrales Element des Gesprächs ist die sogenannte „Anrufung“, wie sie bei Judith Butler beschrieben wird. Elias erinnert sich an eine Szene im Kindesalter: Ein älterer Mann streckt ihm auf der Straße die Zunge heraus – eine symbolische Geste der Demütigung, die Elias tief geprägt hat. Diese Szene wird als performative Anrufung gedeutet, durch die Elias als „anders“ oder „abweichend“ adressiert wird – ein Akt, der seine Subjektivierung innerhalb gesellschaftlicher Normen beeinflusst.
00:34–00:43: Schule als Ort der Normalisierung und Widerstand
Eine weitere Szene betrifft ein Gespräch mit einer Schulleiterin, die Elias aufgrund seiner äußeren Erscheinung den Besuch einer Förderschule nahelegt. Die Mutter widersetzt sich dieser Anrufung und verteidigt die Normalität ihres Sohnes. Diese Szene wird als Beispiel einer Resignifizierung gedeutet: Eine normativ ausgrenzende Anrufung wird nicht einfach angenommen, sondern aktiv umgewendet. Elias und seine Mutter beanspruchen eine andere Lesart seiner Subjektivität – jenseits der Pathologisierung.
00:43–00:49: Vulnerabilität und Prekarität nach Butler und Dederich
Im Anschluss werden Butlers Begriffe der Verletzlichkeit und Prekarität mit Markus Dederichs Konzept der körperbezogenen Vulnerabilität verknüpft. Elias’ Körper wird von außen als „abweichend“ markiert – dies erhöht die Wahrscheinlichkeit für Verletzungen im sozialen Raum. Die Szene mit der Zungengeste fungiert dabei als emblematische Chiffre für diese gesellschaftliche Herstellung von Prekarität und Exklusion.
00:49–Ende: Performativität und die transformative Kraft der Erzählung
Gegen Ende reflektieren Tim und Annika über die performative Dimension des Interviews selbst. Elias formuliert seine Geschichte nicht als Opfernarrativ, sondern betont am Ende seine Dankbarkeit und seinen Stolz. Dies lässt sich als eine Form von aktiver Resignifizierung begreifen: Die Narrative wirkt nicht nur retrospektiv erklärend, sondern auch prospektiv identitätsbildend. Die performative Kraft der Erzählung besteht gerade darin, neue Handlungsspielräume im Diskurs zu eröffnen.