In dieser Folge unterhalten sich Lara und ich über ein Interview (FR420), indem die Erzählerin über die Gründung eines Ladens für gerettete Leben berichtet. Eine Veränderung ihres Welt- und Selbstverhältnisses findet während ihrer Tätigkeit in Nepal statt. Wir interpretieren das Interview mit der Theorie transformatorischer Bildung nach Kokemohr/Koller und der Pädagogischen Anthropologie nach Wulf und Zirfas. Hier nutzen wir wieder die Trias von Emotion, Praxis und Theorie und und anthropologischen Kategorien Körper, Soziales, Raum, Zeit, Kultur, Subjekt und Grenzen Zum Schluss diskutieren wir die Performativität und die Gestaltung des Imaginären.
Zusammenfassung des Podcast-Gesprächs mit Lara über das Interview FR420 („Gerettete Lebensmittel“) – Folge 159 (GPT)
In dieser Folge des Podcasts Transformatorische Bildung sprechen Tim und Lara über das narrative Interview FR420 mit einer Frau, die von ihrem biografischen Wandel von einer Juristin zur Gründerin eines Ladens für gerettete Lebensmittel berichtet. Der Transformationsprozess der Erzählerin wird entlang der Theorie transformatorischer Bildung (Kokemohr, Koller) und der pädagogischen Anthropologie (Wulf, Zirfas) analysiert, wobei die Konzepte Fremdheitserfahrung, Trias Emotion–Praxis–Theorie, anthropologische Kategorien und Performativität zentrale Orientierungspunkte bieten.
1. Theoretischer Rahmen und Analysemethodik
Tim und Lara betonen zu Beginn die methodische Perspektive ihres Gesprächs: Die Analyse orientiert sich am Konzept der transformatorischen Bildung, in der subjektive Wandlungsprozesse durch Irritationen, Brüche und Fremdheitserfahrungen in Gang gesetzt werden. Diese werden sprachlich strukturiert durch rhetorische Figuren sowie kulturell gerahmt durch anthropologische Kategorien (Körper, Soziales, Raum, Zeit, Kultur, Subjekt, Grenzen). Die Perspektive wird durch Waldenfels’ Theorie des Fremden vertieft und mit der Idee der Performativität und des Imaginären (u. a. in Anlehnung an Butler und Deleuze) verbunden.
2. Biografische Struktur: Drei Phasen der Transformation
Laras Analyse gliedert die Erzählung der Interviewten in drei zeitlich strukturierte Phasen: Vor dem Aufenthalt in Nepal, die Zeit in Nepal und die Zeit danach, in der die Gründung des Ladens für gerettete Lebensmittel erfolgt.
Phase 1: Vor Nepal – Körperliche Prägung und erste Zugänge zur Natur
Die Erzählerin berichtet von ihrer Kindheit, in der sie auf einem Gemüsefeld mitarbeiten durfte. Diese körperlich-praktische Erfahrung stellt eine erste, implizite Form von Weltverhältnis dar. Es wird als frühe Grundierung eines ökologischen Bewusstseins gedeutet, ohne dass in dieser Phase bereits ein reflektiertes Verständnis für Nachhaltigkeit vorliegt. Die anthropologischen Kategorien „Körper“, „Raum“ und „Soziales“ sind hier zentral: Elternhaus, Garten, Naturkontakt. Eine „romantische“ Vorstellung von Gerechtigkeit leitet sie schließlich zum Jurastudium, wobei bereits hier emotionale und theoretische Motive sichtbar werden.
Phase 2: Nepal – Erfahrung radikaler Fremdheit und Weltbruch
Die prägende Transformation erfolgt während ihres Aufenthalts in Nepal im Rahmen eines Masterstudiums in Human Rights. Dort arbeitet sie für eine NGO, die sich für indigene Rechte einsetzt. Besonders eindrucksvoll wird eine Szene beschrieben, in der ein Wasserlieferant nicht liefern kann, weil gleichzeitig die Elektrizität ausfällt – eine alltägliche Situation vor Ort, für die Erzählerin jedoch unbegreiflich. Ihre Reaktion – „Das ging nicht in meinen Kopf rein“ – wird als Ausdruck einer tiefgreifenden Fremdheitserfahrung gedeutet.
Diese Passage lässt sich entlang mehrerer Achsen analysieren:
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Trias Emotion – Praxis – Theorie:
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Emotionale Irritation über fehlende Organisation und Kontrolle,
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praktische Ohnmacht angesichts der Zustände,
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theoretische Reflexion über globale Ungleichheiten.
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Anthropologische Kategorien:
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Körper (Durst, Hygiene, Nahrung),
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Raum (Stadtviertel, Wasserlogistik),
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Zeit (Stundenpläne für Elektrizität),
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Subjekt (Konfrontation mit der eigenen westlichen Perspektive),
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Grenzen (Ohnmacht, strukturelle Begrenztheit),
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Kultur (Gastfreundschaft, Akzeptanz von Mangel),
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Soziales (Beziehungen zu Nachbar:innen und Kolleg:innen).
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Diese Erfahrung wird als Wendepunkt gelesen, an dem sich das Selbstverhältnis neu formiert. Die Wahrnehmung des Wassers als existenzielles Gut wird in einer metonymischen Figur greifbar: Wasser als konkrete Notwendigkeit und als symbolisches Element des Imaginären.
Phase 3: Rückkehr und Handlung – Gründung des Ladens
Nach der Rückkehr verändert sich das Handeln der Erzählerin radikal. Sie distanziert sich vom juristischen Beruf, beginnt mit dem „Containern“ (Lebensmittelrettung aus Müllcontainern) und gründet schließlich einen eigenen Laden, in dem Lebensmittel nach einem „Zahl-was-du-kannst“-Prinzip weitergegeben werden. Dieses Handeln wird als Performativität des Imaginären gedeutet: Die Erzählerin erschafft durch symbolisches Handeln einen neuen sozialen Raum, in dem nachhaltiges Wirtschaften, Gerechtigkeit und Ethik konkret erfahrbar werden.
Die Grenzüberschreitung, die mit dem Containern verbunden ist (illegalisierte Praxis), verdeutlicht zudem eine Neuausrichtung des Subjektverhältnisses: Die Erzählerin handelt entgegen normativen Erwartungen und verleiht ihrer Überzeugung durch öffentliches, praktisches Handeln Ausdruck. Es ist nicht nur die Reflexion, sondern die Verkörperung eines anderen Weltbezugs, der hier zur Sprache kommt.
3. Performativität und Imaginäres
Zum Abschluss des Gesprächs diskutieren Tim und Lara, inwiefern die Transformation der Erzählerin auch eine Gestaltung des Imaginären darstellt. Die Interviewte schafft neue symbolische Ordnungen, indem sie konkrete Praktiken (z. B. den Laden) etabliert, die jenseits des dominanten Wirtschaftssystems stehen. Dabei wird sichtbar, wie performative Handlungen neue Bedeutungsräume erschließen und wie Bildung nicht nur in der Reflexion, sondern in der leiblich-symbolischen Weltgestaltung vollzogen wird.
Das Interview steht thematisch im Zusammenhang mit den vorherigen Podcast-Folgen.
Folge 157: Ausbruch aus dem Käfig der Normalität und Leben in der Jurte“
Folge 158:„Die Geschichte einer Aussteigerin: Leben in den Bäumen“